Maßlos! – Klimapolitischer Kommentar II zur geplanten Rodung des Hambacher Forstes
Maßlosigkeit anstelle von Klugheit scheint die Geschehnisse am Hambacher Forst immer mehr zu kennzeichen
von Wiebke Lass
Nach einem zeitweiligen Stopp der Räumung wegen des Todes eines Journalisten, geht die Räumung des letzten Baumhaus-Dorfes seit letztem Mittwoch wieder weiter. Verschiedene Aspekte lassen diese Aktion aus meiner Sicht immer absurder erscheinen. Selbst wenn man die proklamierten Ziele der NRW-Landesregierung oder der RWE AG einmal zugrunde legt, stellt sich die Frage: Wieviel Aufwand betreiben Politik und Polizei um welches Ziel zu erreichen?
Dass der Aufwand immens ist, ist wohl unbestritten: Allein rund 1.000 Beamte pro Tag im 12-Stunden-Schichtwechsel sind mit der Räumung beschäftigt; hinzu kommt eine enorme technische Ausstattung von schweren Räumfahrzeugen bis hin zu Pfefferspray. Ich frage mich: Wie teuer ist so etwas eigentlich pro Tag? Ist allein aus finanzieller Sicht die Zweck-Mittel-Rationalität noch gewahrt? – Aber es gibt auch „Kosten“ des Einsatzes, die sich nicht in Geld aufwiegen lassen: Ein 27jähriger Mann hat mit dem Leben bezahlt, eine weitere junge Frau wurde am Mittwoch beim Sturz von einer Leiter schwer verletzt. Einige Bäume des ökologisch wertvollen Altwaldes wurden bereits gefällt. Hinzugerechnet werden muss meines Erachtens auch der gesellschaftliche Schaden, den diese Aktion verursacht hat: Polizeigewalt und Konfrontation spalten die Gesellschaft, anstatt sie zusammen zu führen. Sie sind eines Landes unwürdig, dass sich gerne als hoch entwickelt und kultiviert begreift. Damit werden Werte wie gesellschaftliches Vertrauen und Zusammenhalt ein Stück weit zerstört; Werte, die doch in vielen wichtigen Auseinandersetzungen so dringend gebraucht werden.
Welche Ziele schließlich motivieren diesen Riesenaufwand? Einfach gefragt: Warum das Ganze? – Ist doch klar, denken Sie nun, es geht um Kohleförderung. Um unsere Energieversorgung. – Falsch gedacht! Tatsächlich gibt es bei der Begründung des Einsatzes eine Konfusität, die, mit Verlaub, nur noch vom Kasperle-Theater übertroffen wird.
So wirkte die offizielle Begründung der Landesregierung für den Start der Räumung schon ziemlich absurd. Um Lebensgefahr aufgrund eines nicht ausreichenden Brandschutzes von den Bewohner*Innen abzuwenden, sei die sofortige Räumung notwendig, hieß es vom CDU-geführten Innenministerium NRWs. So absurd diese Begründung auch klingen mag (sechs Jahre war dies kein Problem und die heißen Sommermonate mit hoher Waldbrandgefahr liegen gerade hinter uns), Versuche, eine Einstweilige Verfügung zu erwirken, blieben erfolglos. – Selbst wenn diese Begründung offensichtlich für die rechtliche Legitimierung des Räumungsbeginns ausreichte, frage ich mich, ob angesichts der hohen (materiellen und immateriellen) Kosten des Einsatzes auch heute noch von Verhältnismäßigkeit gesprochen werden kann. Mit jedem Tag stellt sich diese Frage lauter: Das alles aus Gründen des Brandschutzes?
Das wahre Ziel ist der Kohleabbau, das weiß doch jeder, werden Sie jetzt denken. Wieder falsch! – In Wirklichkeit hat die geplante Rodung nichts mit dem Energieträger Kohle zu tun! So zumindest die neuste Äußerung des RWE-Chefs Rolf Martin Schmitz im Handelsblatt vom 27.9.18 – und der muss es ja eigentlich wissen, oder? Der Hambacher Forst werde „zu Unrecht zum Symbol” im Streit um die Kohle gemacht, heißt es dort. Und ganz deutlich wird gesagt, dass selbst im Falle eines sofortigen Stopps des Tagebaus, der Wald trotzdem gerodet werden müsse, weil – bitte festhalten! – weil so Schmitz: „Wir brauchen diese Erdmassen, um die Böschungen dauerhaft zu stabilisieren”.
Welche Kasperle-Puppe wurde dann da plötzlich aus dem Ärmel gezaubert?, fragt man sich als verwunderte Außenstehende. Das ganze energiepolitische Kartenhaus bricht mit dieser Argumentation zusammen, es geht schlicht um Erde, um die Stabilisierung einer Böschung. – Ist das vielleicht die Kernbotschaft einer viele tausende Euro teuren, speziell entwickelten Kommunikationsstrategie, die verhindern soll, dass die RWE AG in diesem Konflikt mit Loser-Attributen wie „Bremser“, „Innovationsverweigerer“ oder Energiewende-Gegner“ belegt wird? Dass sich die Kohlekommission oder andere Akteure der Energiewende vielleicht schon bald auf die Seite des Walschutzes stellen werden, um noch vorhandene Mengen an Glaubwürdigkeit zu retten? – Bei mir persönlich trägt der Argumentationssalto des Herr Schmitz jedenfalls nicht zu einer Glättung der Wogen bei – im Gegenteil. Er bestätigt den Eindruck von der Unangemessenheit und Maßlosigkeit der Aktion – selbst an den von NRW und RWE selbst geäußerten Zielen gemessen – nur noch mehr. So sprechen nicht Verstand und Vernunft, so spricht Absurdistan!
Kommentare willkommen!
Die hier wiedergegebenen Ansichten sind die persönlichen Ansichten der Autorin und müssen nicht mit denen des Projekts oder des PIK übereinstimmen.
Es erstaunt mich auch immer wieder, welche Argumente alles zu einem „Weiter so“ herhalten und was RWE alles einfällt, um jetzt schnell unverrückbare Tatsachen zu schaffen. Für RWE steht offensichtlich die Verwertung der bereits abgeschriebenen Altanlagen im Vordergrund, um die Kapital-Interessen ihr Aktionäre zu befriedigen.
Es gäbe Alternativen zur Abbautechnik ohne eine Rodung des Hambacher Forstes (siehe z.B. taz, 25.11., S. 09).
Auf politischer Seite berichtet Min.Präs A.Laschet, Rot-Grün hätte in NRW 2016 entschieden, das Braunkohlegebiet werde ggf. in Garzweiler verkleinert, aber nicht am Hambacher Forst. Mit Hambach hätte also ein evtl. früheres Ausstiegsdatum aus der Braunkohle angeblich nichts zu tun (Interview taz 29.09., S. 3).
Eventuell naht jetzt eine entscheidende Phase der Klimapolitik in Deutschland.
Wichtig ist zunächst kurzfristig ein Moratorium der Rodung bis mind. Mitte Dez., bzw. Abschluss der Kohlekommission.
So, wie die Kommission zusammengesetzt ist, sollten wir aber keine Wunder erwarten. Wichtig ist, dass in der realen Klimapolitik ankommt, dass es jetzt nicht mehr „nur“ um das 2-Grad-Ziel geht, sondern darum, die Tendenz Richtung 3 bis 5 Grad Erderwärmung zu mildern. Also müssen nicht nur die bisher gesetzten Ziele eingehalten, sondern intensiviert werden.
Und um dafür das politische Handeln und die Phantasie zu fördern und zu fordern ist JETZT der richtige Moment.
Ich träume von einem machtvollen Zeichen von 200.000 Menschen (warum eigentlich nicht auch 500.000) am 9. Oktober auf der Demo am Hambacher Forst.