Aufweichen der 2020-Klimaschutzziele in Deutschland – nur peinlich oder gar ein Rechtsbruch?

Im September 2016 haben Bundestag und Bundesrat einstimmig den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Pariser Klimaschutzabkommen beschlossen, das im Jahr vorher von 195 Staaten ausgehandelt wurde und Anfang November 2016 in Kraft getreten ist. Das Pariser Abkommen (PA) sieht in Artikel 2 eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf maximal 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Niveau vor, verbunden mit Anstrengungen zu einer Begrenzung auf möglichst 1,5º C. Zur Erreichung dieses Zielkorridors sollen die Staaten freiwillige, aber effektive und mit der Zeit schärfere Maßnahmen ergreifen (Artikel 3 PA).

Deutschland wird seine selbstgesetzten Klimaziele bis 2020 (-40% gegenüber 1990) aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreichen. Die „Gerüchteküche“ um die laufenden Sondierungsverhandlungen zwischen CDU und SPD will wissen, dass die neue Bundesregierung dieses Ziel auch offiziell aufgibt, dafür aber bis 2030 neue Ziele erreichen will (vgl. Artikel Tagesspiegel vom 09.01.2018).

Es stellt sich die Frage: Ist die mögliche Aufgabe bzw. Verschiebung der klimapolitischen Ziele durch eine neue Bundesregierung nur „schade“ oder „peinlich“, oder doch vielleicht mehr – nämlich zum Beispiel ein Bruch des Pariser Abkommens, zumindest ein Verstoß gegen seinen „Geist“? Genau das behauptet ein Rechtsgutachten, das der Leipziger Jurist, Soziologe und Philosoph Prof. Dr. Felix Ekardt zusammen mit Mitarbeiterinnen von der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik (Leipzig/Berlin) im Auftrag des Solarenergie-Fördervereins Deutschland e.V. im Januar 2018 vorgelegt hat.

Da die KliB-Haushalte meist klimapolitisch interessiert sind und sich teilweise hier auch engagieren, möchte das KliB-Team auf dieses Rechtsgutachten hinweisen und lädt alle Interessierten zu einer Stellungnahme im KliB-Forum ein. Das Papier argumentiert als Rechtsgutachten natürlich primär juristisch (Umweltvölkerrecht), aber ist dennoch gut lesbar und wirft einige interessante Fragen auf. Hier nur kurz einige Punkte in der Zusammenfassung:

  • Das PA stellt trotz der zentralen Rolle freiwilliger Maßnahmen keine unverbindliche Absichtserklärung dar, sondern ist ein völkerrechtlich verbindliches Dokument, das auch für die Bundesrepublik Konsequenzen hat.
  • Insbesondere das 2-1,5º C-Ziel von Artikel 2 legt – im Verein mit den wissenschaftlichen Berechnungen des IPCC – sehr ambitionierte Zielkorridore für die Vertragsstaaten fest, die auf eine rasche Dekarbonisierung hinauslaufen.
  • Unsicherheiten bezüglich des mit diesem Ziel kompatiblen Gesamtbudgets existieren zwar (Klimasystem, Senken, Aerosole etc.), aber eine am Vorsorgeprinzip orientierte Klimapolitik kann diese nicht als Vorwand für geringere Anstrengungen nutzen.
  • Je später gehandelt wird, desto teurer und unwahrscheinlicher ist es, dass ein technisch, wirtschaftlich und sozial gangbarer Dekarbonisierungspfad gewählt werden kann.
  • Das Nicht-Erreichen des 2020er Klimaziels der Bundesregierung und seine mögliche Preisgabe bzw. Verschiebung stellt eine eklatante Verletzung des PA dar.
  • Art. 2 Abs. 1 PA ist rechtsverbindlich, aber nicht direkt einklagbar. Die Menschenrechte (mit im Wesentlichen gleichem Aussagegehalt in puncto Klimaschutz) sind es jedoch, unter Einschluss des menschenrechtlich herleitbaren Vorsorgeprinzips. Zudem erleichtert Art. 2 Abs. 1 PA eine Interpretation des jeweiligen nationalen Verfassungs-, Verwaltungs- und Zivil-rechts in Richtung strenger Klimaschutzverpflichtungen.

Lassen Sie uns wissen, ob der Artikel für Sie hilfreich war und was Sie darüber denken. Das KliB-Team denkt: Die KliB-Haushalte handeln in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen – obwohl das nur Staaten, nicht Individuen verpflichtet. Was möchten unsere Haushalte einer künftigen Bundesregierung in Sachen Klimapolitik empfehlen?

3 Antworten
  1. UrsulaTrappentreu
    UrsulaTrappentreu says:

    Ich denke, dass jeder Weg, auf die künftige Regierung Druck zu machen, gewählt werden muss, also auch der Rechtsweg, wenn es dazu irgendeinen Aufhänger gibt. Eventuell geringe Erfolgsaussichten in einem entsprechenden Rechtsstreit sollten die Strategie nicht bestimmen. Statt dessen geht es darum, alle möglichen Kräfte zu mobilisieren und zu zeigen: Wir lassen uns die gewissenlose, zukunftsverweigernde Methusalempolitik der künftigen Regierung nicht gefallen! Der Rechtsweg ist also die eine Sache. Selbst finde ich den Artikel von Prof. Dr. Niklas Höhne besonders gut: https://newclimate.org/2018/01/12/deutschland-droht-das-pariser-klimaschutzabkommen-zu-unterminieren/ Er zeigt auf, was bisher schon alles falsch gelaufen ist und wie ungeheuer fatal die jetzigen GroKo-Pläne sind. Was die Groko will, ist skandalös: ein juristischer Skandal, ein politischer Skandal, ein moralischer Skandal. Das Sondierungsergebnis gleicht einer Büchse der Pandorra. Diese beinhaltete bekannterweise einen Funken Hoffnung – ein geplantes Klimaschutzgesetz. Damit dieses kommt und die nötige Schärfe entfaltet, bedarf es jeden erdenklichen Druck aus der Zivilgesellschaft.

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