“KliB: Zwischen Experiment und Klimapolitik” – KLIB-Haushalte melden sich zu Wort
In diesem neuen Format wollen wir in den verbleibenden Monaten des Reallabors Haushalte mit ihren Erfahrungen, Anregungen etc. zu Wort kommen lassen.[1] Heute schreibt Martin über seine persönliche Auswertung des KliB Reallabors, über individuelle Einsparung und wirkungsvolle Klimapolitik.
Zwischen Experiment und Klimapolitik
In unserem Projekt wird in erster Linie untersucht, inwieweit man seinen aktuellen CO2-Fußabdruck innerhalb eines Jahres um 40 Prozent oder mehr reduzieren kann. Das Zwischenergebnis dieses Reallabors kann man der Ballongrafik entnehmen.
Ich möchte in diesem Beitrag nun einmal betrachten, was das für die Absolutzahlen des CO2-Ausstoßes bedeutet, der in Deutschland pro Person bekanntlich im Durchschnitt 11 Tonnen beträgt (im Ballondiagramm angedeutet durch die waagerechte gestrichelte Linie). Das politische erklärte Ziel ist es, diesen Ausstoß in der EU bis 2030 um 40 % zu senken, also auf 60 % von 11 t: (Entspricht 6,6 t pro Person). Wir in Deutschland sind gerade auf dem Weg, dieses Ziel zu verfehlen (Zwischenziel 20 % Einsparung bis 2020).
Mit Stand vom 18.10.2018 erreichen in unserem Experiment 84 von 142 Haushalte einen (für 2018 prognostizierten) CO2-Fußabdruck von 6,6 t oder weniger, das sind 60 % der Teilnehmer. Das ist eine sehr anerkennenswerte Leistung. Mein Haushalt gehört nicht zu dieser Gruppe, wir verharren eher im Bereich des Durchschnitts-Fußabdruckes.
Auf der linken Seite nähert sich die Ballonkurve asymptotisch einem Wert von ca. 3,2 t an. Ohne einer abschließenden Auswertung des Projektes vorgreifen zu wollen, lässt diese Tatsache vermuten, dass hier der geringste individuell möglichen CO2 Emisionswert unter den gegebenen Randbedingungen erreicht wird (mit immerhin nur 30 % von 11 t).
Was will ich damit sagen? Es gibt relativ viele Teilnehmer, die ihren schon ziemlich geringen Fußabdruck weiter verringern möchten, nach ergänzenden Einsparmöglichkeiten suchen und diese (z. B. im Forum) diskutieren. Bei bereits geringem Verbrauch ist jedoch das Einsparpotenzial logischerweise gering.
Betrachtet man nun unsere Teilnehmer als ein (ziemlich grobes) Modell für die Gesamtbevölkerung, wäre es umso wichtiger, die „Normalverbraucher“ dazu zu bringen, sich zu fragen und ggf. im Forum zu diskutieren, was sie denn noch zum Gesamterfolg beitragen können. Denn dort, wo viel verbraucht wird, ist das Einsparpotenzial größer und der Effekt der Einsparung für das Gesamtergebnis umso deutlicher. Um ein gutes Gesamtergebnis zu erreichen, kommt es besonders auf die Normal- und Vielverbraucher an.
Ich vermute, dass jenseits der Teilnehmerzahl 84 (also im Bereich „Einsparung weniger als 40 %“) die Mobilität und hier besonders das Fliegen eine wesentliche Rolle spielt. Es wäre interessant, diesen Wert in der Sparte „Mobilität“ getrennt auszuweisen, um ihn besser diskutieren zu können. Das Flugverhalten ist ein komplexes Thema und es wäre interessant, sich darüber auszutauschen. Ich kenne niemanden, der ein kurzfristiges Konzept gegen die Zunahme des Flugverkehrs, geschweige denn für dessen Senkung vorschlagen kann. Nur eine These möchte ich hier schon wagen: Die in Deutschland verkaufte Gesamtzahl von Flugtickets lässt sich wahrscheinlich nicht dadurch senken, dass eine relativ kleine Zahl von Haushalten generell aus umweltpolitischen Gründen auf das Fliegen verzichtet. Oder umgekehrt gefragt: Wie groß müsste die Zahl dieser Haushalte sein, damit die Flugzahlen wirklich zurückgehen?
Das gilt eventuell auch für andere Bereiche. Die Reduzierung des CO2-Fußabdruckes durch Verzicht ist ein wichtiger Teil der Strategie, wird aber allein wahrscheinlich nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Das führt nun direkt zu den politischen Randbedingungen (Wirtschaft und Steuern).
Es sollte eine Doppelstrategie geben, bestehend aus a) dem individuellen Verhalten und b) aus dem Einsatz für wirksame politische Rahmenbedingungen. In der Marktwirtschaft wirken die Preise und dazu zitiere ich hier wieder E. U. von Weizsäcker mit der Forderung, dass die Preise die ökologische Wahrheit widerspiegeln müssen. Die Preise sollten die Ressourceneffizienz fördern. Und für die Forschung und Entwicklung müssen die entsprechenden wirtschaftlichen Anreize geschaffen werden. Ein erfolgreiches Beispiel dafür ist die Wiedereinspeisevergütung im Rahmen des EEG-Gesetzes, die den Entwicklern von effektiven Windkraftanlagen speziell in der Anfangsphase unmittelbare Gewinne ermöglicht hat.
Hier kurz vier (zum Teil locker formulierte) Anregungen für politische Forderungen, die etwas mit dem CO2-Fußabdruck zu tun haben:
- Förderung von Zugreisen und des öffentlichen Nahverkehrs (Netzausbau und Senkung der Fahrpreise). Die zusätzlichen dafür benötigten Mittel dafür könnte man aus einer (dringend notwendigen) Besteuerung des Flugbenzins generieren.
- Abschaffung der widersinnigen Tatsache, dass Schweinefleisch quasi das billigste Nahrungsmittel ist. Mit der Durchsetzung der bereits geltenden Tierschutzgesetze könnte das in der Massentierhaltung evtl. schon realisiert werden. Gewünschte Folge: Verdopplung der Preise, also Halbierung der Fleischmenge bei gleichem finanziellen Aufwand.
Es könnte zusätzlich eine Win-Win-Win Situation entstehen:
– Besserer Gesundheitszustand.
Weniger Weizen und Mais in Monokultur werden benötigt:
– Weniger Nitrat im Grundwasser.
– Platz für Wiederaufforstung von Wäldern (als temporärer Kohlenstoffspeicher). - Suche nach kreativen Lösungen dafür, dass es sich wirtschaftlich lohnt, Obst und Gemüse in großen Mengen in der Nähe von Ballungszentren anzubauen. Geht das evtl. mit lokalen Währungen, dazu gab es mal einen alternativen Nobelpreis?
– Weniger Massentransporte (mit Lastwagen) aus Südeuropa. - Arbeitszeitverkürzung: Ummünzen der gesteigerten Arbeitseffizienz in mehr Zeit, nicht in mehr Waren (z. B. auch um klimafreundlicher mobil zu sein). Diese Forderung ist derzeit nicht mehr aktuell, warum eigentlich?
Durch solche wirtschaftspolitischen Anreize und die entsprechende Aufklärung soll erreicht werden, dass sich schnell eine Vielzahl von Menschen (80 bis 90?) – und zwar insbesondere diejenigen mit einem großen CO2-Fußabdruck – daran beteiligen, diesen signifikant zu verringern. Aus Überzeugung und weil es sich wirtschaftlich lohnt. Preissignale sind wirkungsvoller als der Appell an die Vernunft.
Viele Grüße, Martin
Lieber Martin,
erstmal vielen Dank für Ihren langen und engagierten Beitrag! Dieser zeigt, dass die Teilnehmenden das projekt tatsächlich so verstehen, wie wir es angelegt hatten: als Versuch, den eigenen CO2-Fussbadruck zu senken und als Forum der klimabewussten Bürger*innen. Und genau in diesem Sinn haben Sie Ihren Beitrag geschrieben. Erstens: Was können wir selber tun? Zweitens: Was muss sich politisch ändern, damit Klimaschutz breitenwiksam und damit effektiv wird und nicht in einer Nische der Gut- und Freiwilligen verbleibt.
Was die Haushaltszahlen anlangt, sind wir ja gerade dabei, ein besseres und tieferes Verständnis der Ergebnisse (CO2) und ihrer Bedingungen (Haushaltscharakteristika z.B.) zu bekommen. Dann können wir auch Genaueres zu den Haushalten mit den besonders niedrigen und den besonders hohen Emissionen mitteilen. Und dann möchten wir natürlich auch die Frage beantworten, wo Deutschland stünde, wenn alle Menschen so lebten wie die (besten) KliB-Haushalte.
Die von Ihnen ins Spiel gebrachten (klima-) politischen Forderungen finde ich persönlich richtig und auf jeden Fall diskussionwürdig auch über KliB hinaus. Wir werden, wenn wir über das Projekt unserem Auftraggeber, dem BMU, berichten, auch die klimapolitischen Positionen der Teilnahmenden mitteilen – Ihr Beitrag ist insofern schon Material dafür. Mal sehen, was andere dazu denken! Ihre Überlegungen zur Arbeitszeit sind hier auch intgeressant.
Die für mich als Wissenschaftler spannende Frage ist, wie diese beiden Bereiche – mein persönlicher Lebensstil und die politische Dimension – zusammenhängen. Manche Leute – auch in der Wissenschaft – sagen: “Es ist Quatsch, ein so dickes Brett wie das globale Klimaproblem durch ein bisschen bewussteren Konsum hier und etwas Verzicht da zu lösen – es braucht politische Rahmenbedingungen!” Ihr eigener Beitrag, sehr geehrter Martin, zeigt, dass man sich für die Änderung der politischen Rahmenbedingungen einsetzen kann und gleichzeitig versucht, den eigenen Fussabdruck zu senken. Ich persönlich glaube, dass es ein gewisses Maß an “kognitiver Dissonanz” geben kann – also man spart hier und da etwas ein, aber schafft vielleicht die KliB-Bestwerte auch nicht, aber man setzt sich für eine strikte Klimapolitik ein. Anders gesagt: Auch wenn man bei KliB nicht zu “den Besten” gehört, kann man Klimapolitik einfordern, ohne als unglaubwürdig gelten zu dürfen. Gleichwohl denke ich auch, dass dieses Spannungsverhältnis nicht bis zur völligen “Schizophrenie” gehen kann. SUV fahren, Vielflieger sein, karnivore Diät und massiver Stromverbrauch ohne Ökostrom – und dann für eine effektive Klimaplitik sein, das hielte ich für eine sehr unwahrscheinliche Konstellation.
Also knapp gesagt: Auf welchem Lebensstil/CO2-Abdruck formiert sich welches klimapolitische Engagement, und wie setzt sich das in Politik um? Wenn ich sehe, welche klugen Vorschläge aus den bei uns teilnehmenden Haushalten kommen, und wenn ich ferner sehe, dass viele KliB-Haushalte über ihr sonstiges “soziales Kapital” (Berufe, Netzwerke) durchaus einen gewissen Einfluss auf andere, auf Organisationen, auf die öffentliche Meinung, auch auf Politiker*innen haben, dann wäre ich auch angesichts der ziemlich geringen Fallzahl unserer rd. 100 Haushalte gar nicht mal so pessimistisch…