Über rülpsende Rinder, Vegetarier und warum man herzlich übers Essen streiten kann
Essen Vegetarier klimafreundlicher? Können wir die Flugmango noch kaufen, wenn sie fair und bio angebaut wird? Welcher Apfel ist besser, der Bioapfel aus Neuseeland oder der konventionelle aus Brandenburg? Und wie ist das überhaupt mit dem Essen und dem Klima?
Über kaum ein andere Feld hat unsere Familie (Günther, Petra, Jakob und Franziska) in unserem Jahr als Klimaretter mehr und länger diskutiert als über Nahrungsmittel. Was wahrscheinlich auch daran liegt, dass wir oft beim Essen über das Klima geredet haben. Unsere gemeinsamen Abendessen waren meistens nett, entspannend und verbindend: So ein bisschen Bullerbü eben. Aber wir wissen heute auch: Man kann sich fantastisch übers Essen streiten und es sich gegenseitig vermiesen. Wenn die Ernährung zur Ideologiefrage wird, vor allem die des Anderen und zwar während der isst, dann kann die Sache schnell aus dem Ruder geraten.
Oder wenn ein Gastgeber die Verweigerung eines Nahrungsmittels als Angriff auf die eigene Gastfreundschaft begreift: „Wie, ich hab mir doch solche Mühe mit dem Braten gegeben und jetzt esst ihr nicht? Ihr irren Vegetarier.“ Oder wenn der Gast seine eigenen Essgewohnheiten zur Demonstration nutzt und sich über den Rest der Runde erhebt: „Ich esse Euren Braten nicht. Fleischessen ist unmoralisch.“
Kurz: Wenn Essen mehr ist als Essen, wird es kompliziert. Und das passiert erstaunlich oft.
Wir haben uns als erstes der Fleisch-Frage zugewandt. Nicht etwa, weil wir alle Vegetarier sind. Vegetarisch ernähren sich heute 50 Prozent der Familie, beide Kinder. Aber die wollte es genau wissen: Ist das besser fürs Klima?
»Das Rind muss weg!«, sagt Charlotte, als wir uns auf dem Markt treffen, und das Ausrufezeichen ist dabei deutlich zu hören (nebenher: sie ist keine Vegetarierin). Sie erklärt das so: »Rinder sind einfach unglaublich schlechte Futterverwerter.« Schlimmer noch: »Die sind Wiederkäuer.« Rinder kauen Gras oder Heu, schlucken und so rutscht es zunächst in den Pansen, den ersten von drei Vormägen. Dort wird die Nahrung durch Mikroorganismen zersetzt und dabei entsteht Methan, ein Gas. Das muss dann wieder raus. »Die Kuh steht also auf der Weide oder im Stall und rülpst«, sagt Charlotte. Sie weiß es genau, sie ist Biologin und hat Climate Focus gegründet, ein Beratungsunternehmen, dass sich mit genau solchen Fragen befasst: Wie wirkt der Fleischkonsum der Menschheit auf das Klima?
Ganz ehrlich: Wir mussten grinsen, als wir zum ersten Mal hörten: Rülpsende Kühe gefährden das Weltklima! Aber es stimmt tatsächlich: Mindestens einmal pro Minute rülpst das Vieh und so pustet eine Kuh am Tag bis zu 500 Liter Methangas aus, was etwa 320 Gramm Methangas entspricht. Und da Methan als Klimagas kurzfristig viel schädlicher als CO₂ ist, entspricht die Tagesproduktion einer Kuh in CO₂ umgerechnet bis zu 6,7 Kilogramm. Aufs Jahr hochgerechnet sind das bis zu 2,4 Tonnen – was ungefähr dem entspricht, was ein Mittelklasseauto bei einer jährlichen Fahrleistung von 12.000 Kilometern raushaut.
Also au revoir Boeuf bourguignon, adios Bife de lomo, bye- bye Rib Eye – wird es darauf hinauslaufen?
Sicher ist: So bald werden in Deutschland die Vegetarier nicht zur Mehrheit werden. Laut Fleischatlas der Böll-Stifung und des BUND isst ein Deutscher in seinem Leben durchschnittlich 1.094 (!) Tiere: Vier Rinder, vier Schafe, zwölf Gänse, 46 Schweine, 46 Puten und 945 Hühner. »85 Prozent der Bevölkerung essen täglich oder nahezu täglich Fleisch oder Wurst«, heißt es dort. » Auch im Restaurant wird in der Regel ein Fleischgericht bestellt. Die Deutschen essen heute viermal so viel Fleisch wie Mitte des 19. Jahrhundert.«
»Wenn Fleisch, dann Schwein oder Huhn«, sagt Charlotte. »Jedenfalls unter Klimaaspekten.« Die Zahlen geben ihr recht: Geflügel und Schwein kommen bei der biologischen Aufzucht auf etwa drei Kilogramm CO₂ pro Kilogramm Fleisch. Beim Rind hingegen fallen pro Kilo Fleisch mindestens elf Kilogramm CO₂ an. Eines ist aber auch sicher: An die positive Klimabilanz von Vegetariern kommen Fleischesser bei weitem nicht heran. (Wobei bei denen die Flugmango und die Trauben aus Südamerika am besten vom Speiseplan verschwinden oder jedenfalls nicht täglich genossen werden.)
Die Kinder frohlocken über diese Nachrichten, die Eltern grummeln. Zwar hat sich auch ihr Fleischkonsum in diesem Jahr massiv reduziert, schon weil es das Kochen für alle Vier leichter macht. Aber komplett auf den Braten verzichten?
Eines Abends im späten Februar kommt Petra nach Hause und schwärmt, sie habe zu Mittag einen wunderbaren Tafelspitz gegessen. »Wenn es so kalt draußen ist, dann schmeckt so ein Gericht echt toll!«
»Was ist Tafelspitz?« fragt Jakob. Er ist jetzt schon so lange Vegetarier, dass er bestimmte Gerichte einfach nicht kennt. »Wunderbar weich gekochtes Rindfleisch.« Jakob guckt. Nicht angewidert wie sonst manchmal. Er weiß jetzt, wie er besser trifft. Er sagt zu seiner Mutter: »Klimasünderin!« Und grinst breit.
Servus Tafelspitz – ja die Kuh, sie frisst, kaut und rülpst. Petra hat ein schlechtes Gewissen, weil sie trotz alledem ein Stück Rindfleisch essen würde, manchmal wenigstens.
Glücklicherweise hat Günther die Lösung. Ein paar Tage später liegt die im Kühlschrank und badet in Rotwein. Zwei Tage, und dann in die Bratröhre: Wildschweinbraten. Von den Viechern gibt es eh viel zu viele – so viele, dass man beim Joggen und Radfahren im Grunewald schon aufpassen muss. Und bio sind sie auch.
Petra Pinzler und Günther Wessel sind Journalisten und leben in Berlin. Petra arbeitet in der Hauptstadtredaktion der ZEIT, Günther freiberuflich überwiegend für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zusammen haben sie über ihre familiären Erfahrungen als CO₂-Sparer das Buch „Vier fürs Klima“ veröffentlicht.
Sie werden in den nächsten Monaten hier immer wieder über ihre Erfahrungen berichten und freuen sich über Kritik, Anregungen und Ideen.
Vier fürs Klima Cover
Vier fürs Klima. Wie unsere Familie versucht, CO2-neutral zu leben.