Rückwärts statt vorwärts. Ein klimapolitischer Kommentar zur geplanten Rodung des Hambacher Forstes
Wiebke Lass[1]
Die Räumung des Hambacher Forstes, die am Donnerstag, den 13.9.18, begonnen hat, sorgt momentan für große Schlagzeilen. Die aktuelle Situation kann als (trauriger) Höhepunkt des schon einige Jahre andauernden Konflikts um Rodung oder Erhalt des Waldstücks bezeichnet werden: Mit dem „größten Polizeieinsatz“ der Geschichte NRWs (rd. 3000 Polizist/innen, Räumungspanzer, Wasserwerfer und spezialisierten „Kletterpolizist/innen“) sollen die Rodungsgegener/innen und ihre Baumhäuser aus dem Wald entfernt werden, damit die Fläche für eine geplante Rodung im Oktober diesen Jahres vorbereitet ist.
Worum geht es in diesem Konflikt im rheinischen Braunkohlerevier genau? Der Hambacher Forst (ursprüngl. Bürgewald) befindet sich hälftig in den NRW-Landkreisen Düren und Rhein-Erft. RWE, der zweitgrößte deutscher Energieversorger, betreibt dort einen bedeutenden Braunkohle-Tagebau und hat dazu nach eigenen Angaben von den ursprünglich 4.100 Hektar Waldfläche bislang bereits 3.900 Hektar gerodet. Um die letzten 200 Hektar Waldfläche zu schützen, startete bereits im Jahr 2012 ein „Camp für Klimagerechtigkeit“, in dem zu Beginn des aktuellen Polizeieinsatzes rund 300 Menschen mit 60 Baumhäusern ausharrten.
RWE versus Klimaschützer – Unvereinbare Positionen?
Trotz eines Dialogverfahrens, an dem beide Parteien teilnehmen, bleiben die Fronten verhärtet. „Wie der Tagebau im Hambacher Forst funktioniert und warum eine Rodung notwendig ist“[2] lautet die Überschrift der RWE- Internetpräsenz, in der die Rodungsabsicht offensiv verteidigt wird. Hauptargument aus RWE-Sicht: Die noch in diesem Jahr notwendigen Rodungen seien „…für die Aufrechterhaltung des Tagebaubetriebs und die Kohlegewinnung bereits in den kommenden zwei Jahren notwendig“ (ebd.). Auch verweist RWE auf die vom Energiekonzern getätigten Rekultivierungsmaßnahmen: Demnach wurden im gesamten Rheinischen Revier, in dem nicht nur der Tagebau Hambach, sondern auch andere (z.B. Garzweiler, Inden) Tagebaue betrieben werden, Waldflächen von rd. 8.700 ha neu angelegt und über 10 Mio. neue Bäume gepflanzt.
Die gegnerische Seite hat zwei Hauptargumente: Da ist zum einen der ökologische Wert des Wald-Ökosystems; es handelt sich um einen seltenen, naturnahen Altwaldbestand, indem u.a. mehrere seltene Fledermaus-Arten heimisch sind. Zum anderen deutet schon der Name des Besatzungs-Camps („Klimagerechtigkeit“) auf die klimapolitische Argumentation hin: „Wegen der großen Verantwortung der Kohlestromproduktion für sage und schreibe ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland“ sei deutlich erkennbar, wie „Klimaschutz und Kohleausstieg eng miteinander verzahnt sind“. [3]
Gesellschaftliche Realitäten und klimapolitische Glaubwürdigkeit
Richtig ist, dass es sich bei der Verstromung von Braunkohle um die klimapolitisch problematischste und gleichzeitig relativ ineffiziente (Wirkungsgrad) Form der Stromerzeugung handelt. Richtig ist auch, dass das Rheinische Revier bereits heute als größte CO2-Quelle Europas gilt und die “Kohle-Kommission” gegenwärtig das “Wie” des Braunkohle-Ausstiegs verhandelt, nicht das “Ob”. Richtig ist schließlich, dass Waldökosysteme als CO2-Senke wichtige Funktionen für den Klimaschutz haben. Diese Argumente sprechen aus klimapolitischer Sicht eindeutig gegen die geplante Rodung.
Und es kommen noch weitere hinzu. Gesellschaftliche Realitäten, mit denen ein derart konfrontativer Akt wie die aktuelle Räumung nicht vereinbar ist: Wenn sich allein über 275.000 Menschen in einer Online-Petition gegen weitere Rodungen im Hambacher Forst aussprechen,[4] ist das ein deutliches Zeichen: Die Menschen können nicht mehr verstehen, wie angesichts des bereits spürbaren Klimawandels heute noch Waldökosysteme für den Abbau fossiler Energieträger vernichtet werden.
Die Situation kann auch deshalb nicht als eindeutig bezeichnet werden, weil gegenwärtig noch Gerichtsverfahren anhängig sind und gleichzeitig die „Kohle-Kommission“, die einen Fahrplan für den Kohleausstieg erarbeitet, bereits im Oktober erste konsensfähige Ergebnisse vorlegen will.
Im Sinne einer Politik, die auf gesellschaftlichen Konsens und eine klimagerechte Zukunft setzt, sollte die Räumung ausgesetzt werden. Es braucht jetzt Zeit und zivilere Formen der Abwägung der unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten und zur Wahrung der klimapolitischen Glaubwürdigkeit Deutschlands. Brachialmaßnahmen weren der komplexen Situation nicht gerecht. Die geplante Rodung ist klimapolitisch und auch vom Politikstil her für Deutschland kein Schritt vorwärts, sondern ein großer Schritt zurück.
[1] Die hier wiedergegebenen Ansichten sind die Ansichten der Autorin.
[2] Siehe dazu die RWE Internetpräsenz unter: https://www.hambacherforst.com/ .
[3] Siehe dazu die Internetpräsenz der Waldschützer/innen: https://hambacherforst.org/ .
[4] So bei der Kampagne des Umweltverbandes Greenpeace; siehe online: https://www.greenpeace.de/retten-statt-roden , die nur eine von mehreren ist.